Ist vegan gesund?
Auswirkungen vegan-vegetarischer Ernährung
Die Anzahl von Menschen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Gründe hierfür sind ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein, aber auch sozioökonomische Überlegungen, Umweltschutzgedanken, ethische oder Glaubensgründe spielen eine Rolle. Zahlreiche Studien belegen die gesundheitlichen Vorteile des Fleischverzichts. Hierzu gehört ein verringertes Risiko für Bluthochdruck20 und Herzkrankheiten21 durch bessere Lipid-Profile22 und einen häufig geringeren Body-Mass-Index (BMI)23. Menschen, die sich nahezu fleischfrei ernähren haben nach einer Studie auch
ein verringertes Risiko an Krebs zu erkranken24.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt statt einer veganen oder vegetarischen Ernährung „eine vollwertige Ernährung in Form einer Mischkost, die zum größten Teil aus pflanzlichen und zum kleineren Teil aus tierischen Lebensmitteln inklusive Fisch und wenig Fleisch und Fleischerzeugnissen besteht“25. Sollte dennoch eine vegane Ernährung gewünscht werden, empfiehlt die DGE die Zufuhr von kritischen Nährstoffen und „gegebenenfalls die Versorgung […] regelmäßig ärztlich überprüfen zu lassen“.
Diese Empfehlung ist sinnvoll, denn Menschen mit vegetarischen und veganen Ernährungsformen müssen sich zugunsten der Ausgewogenheit intensiv mit den Unterschieden zur Mischkost befassen. Unterversorgungen müssen durch die schlaue Zusammenstellung des Speiseplanes ausgeglichen werden. Das bedarf aber einer Menge Fachwissen und auch einer Menge Zeit – begonnen bei der Zusammenstellung des Speiseplanes bis hin zur achtsamen Zubereitung. Abbildung 1 zeigt eine Ernährungspyramide speziell für Veganer26.
Abbildung 1: Ernährungspyramide für vegane Ernährung nach Venti und Johnston, 2002; für nachgewiesene Mangelzustände sollte entsprechend der Verzehrempfehlungen z.B. der DGE supplementiert werden.
Nahrungsbestandteile
Deutschland ist Selen- und Jodmangelgebiet. Agrarprodukte sind arm an diesen Spurenelementen und das unabhängig von ökologischer oder herkömmlicher Erzeugung. Alleine durch Lebensmittel lassen sich der Bedarf an Jod und Selen also nicht mehr durch unsere Ernährung decken.
Jod ist nicht nur für die Synthese der Schilddrüsenhormone wichtig, jede Körperzelle benötigt Jod. Besonders die Brustdrüse und die Fortpflanzungsorgane sind auf Jod angewiesen.
Besonderes Augenmerk muss bei vegetarischer und veganer Ernährung außerdem auf die folgenden Nahrungsbausteine gelegt werden:
Aminosäuren
Als Bausteine der Proteine sind Aminosäuren unentbehrlich für den menschlichen Organismus. Außerdem sind Aminosäuren Energielieferanten, wichtige Vorläufersubstanzen und beteiligt an der Synthese von Neurotransmittern, Schilddrüsenhormonen sowie gasförmigen Botenstoffen wie Stickoxid. Insgesamt 20 Aminosäuren sind für die Synthese der menschlichen Proteine notwendig. Acht Aminosäuren sind essenziell und müssen mit der Nahrung aufgenommen werden. Da Proteine für Struktur und Funktion der Zellen und den geregelten Ablauf aller Prozesse im Körper verantwortlich sind, wirkt sich ein Mangel an Aminosäuren auf den gesamten Organismus aus.
Für die Synthese der Proteine werden immer alle Aminosäuren benötigt. Deshalb bestimmt eine limitierende Aminosäure die biologische Wertigkeit der Nahrungsproteine. Während Fleisch, Milchprodukte und Eier die Aminosäuren in ausgewogenen Mengen enthalten, ist vor allem bei veganer Ernährung auf die ausreichende und ausgeglichene Zufuhr der Aminosäuren durch sorgfältige Kombination der Lebensmittel zu achten. Weizen, Roggen und Reis enthalten z. B. kaum Lysin, Hülsenfrüchte wenig Methionin und Mais nur einen geringen Anteil Tryptophan.
Kalzium
Die Aufnahme von Kalzium ist bei Veganern mangels der Zufuhr durch Milchprodukte reduziert und sollte durch alternative Kalzium-Quellen – z. B. Sojaprodukte, Nüsse, Samen – gesichert werden. Zwar steigert der vegane Stoffwechsel die Kalzium-Aufnahmekapazität automatisch, dennoch sinkt unsupplementiert die Knochendichte messbar. Eine um 20 % höhere tägliche Aufnahmemenge, entsprechend 1.200–1.500 mg/Tag ist daher angeraten.
Ernährungsbedingter Kalziummangel zeigt sich in Muskelkrämpfen und Papillenödem, trockene, schuppige Haut, spröde Nägel und grobes Haar können auch Anzeichen sein. Gelegentlich können weitere Tests sinnvoll sein, wie die Messung von Magnesium, PTH, Phosphat, alkalischer Phosphatase und Vitamin-D-Konzentrationen im Blut sowie cAMP- und Phosphat-Konzentrationen im Urin.
Eisen und Zink
Die Eisen- und Zinkversorgung ist für Fleischessende einfacher zu bewerkstelligen als bei fleischloser Ernährung. Zwar enthält pflanzliche Kost nicht weniger Eisen oder Zink, aber die Bioverfügbarkeit der Metalle ist geringer. 10–15 mg Eisen und zwischen 7 und 16 mg Zink pro Tag, abhängig von der Phytatzufuhr, werden für Erwachsene empfohlen. Phytat bindet Mineralstoffe, so dass sie nicht mehr aufgenommen werden können. Der Komplexbildner findet sich in vor allem in Mais, Soja sowie in Weizen-, Gersten- und Roggenkleie.
Die Eisenaufnahmekapazität steigt normalerweise von allein mit abfallendem Ferritin-Spiegel. Die Steigerung kann bis 400 % betragen, so dass normalerweise kein wesentlicher Mangel auftritt. Unterstützend kann Vitamin-C-reiche Kost die Eisenaufnahme erleichtern. Zinkmangel zeigt sich in einem geschwächten Immunsystem, Anorexie, Dermatitis, Nachtblindheit, Anämie, Lethargie und verzögerter Wundheilung. Zinkmangel bei Schwangeren führt zu Fehlbildungen der Feten und einem niedrigen Geburtsgewicht.
Vitamin A
Vitamin A , das direkt verfügbar ist, gibt es nur in tierischen Lebensmitteln. Um Vitamin A bei veg. Ernährung bereitzustellen, muss Pro-Vitamin A, auch ß-Carotin genannt, im Verhältnis 12:1 in Vitamin A umgebaut werden. Es muss also eine 12-fach höhere Menge davon zugeführt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass es bei bis zu 45 % der Kaukasier einen Polymorphismus des spaltenden Enzyms (BCMO1) gibt, wodurch die Spaltung des ß-Carotins in Vitamin A deutlich reduziert sein kann. So kann es, trotz bewusster Ernährung, zu einem Vitamin A-Mangel kommen.
Vitamin B2 (Riboflavin)
Vitamin B2 (Riboflavin) spielt als Baustein der Coenzyme Flavinmononukleotid (FMN) und Flavin-Adenin-Dinukleotid (FAD) eine wichtige Rolle in der mitochondrialen Atmungskette, und somit im Energiestoffwechsel der Zellen. Enzymsysteme, die riboflavinhaltige Coenzyme besitzen haben sehr gute Redoxeigenschaften und gehören zu den wichtigsten antioxidativen Schutzsystemen des Körpers.
Wichtige Nährstoffquellen sind Fleisch, Milch und Milchprodukte. Eine streng eingehaltene vegane Ernährungsweise birgt ein Risiko für eine Vitamin B2-Unterversorgung. Eine wertvolle Quelle dieses Vitamins unter der veganen Ernährungsform sind Pilze, Mandeln und Quinoa. Vitamin B2 ist extrem lichtempfindlich. Außerdem ist es zwar hitzeunempfindlich, aber wasserlöslich, und ein großer Teil geht im Kochwasser verloren.
Sportler haben einen deutlich erhöhten Vitamin B2-Bedarf und sind bei gleichzeitiger veganer Ernährungsweise eine besondere Risikogruppe. Auch in der Schwangerschaft steigt der Vitamin B2-Bedarf. Eine geringe Zufuhr von Vitamin B2 erhöht das Risiko für eine Präeklampsie und kardiale Fehlbildungen beim Fötus27.
Vitamin B12 (Cobalamin)
Vitamin B12 (Cobalamin) muss bei fleischloser Ernährung gegebenenfalls supplementiert werden. Als essenzielles Coenzym wird Vitamin B12 maßgeblich in den Stoffwechselvorgängen von Zellteilung und Blutbildung sowie im Zusammenhang mit der Funktion des Nervensystems benötigt. Ein Mangel tritt nach einer Nahrungsumstellung erst verzögert auf, da in der Leber größere Mengen gespeichert vorliegen. Eine Symptomatik muss nicht auftreten, da sie durch ausreichende Folatgaben oft maskiert wird. Eine Schädigung des Nervensystems erfolgt aber dennoch.
Die Messung der aktiven Form Holotranscolbalamin ist der Bestimmung von Vitamin B12 im Serum überlegen. Auch die Messung von Homocystein oder Methylmalonsäure kann einen Vitamin B12-Mangel anzeigen. Bei Unterversorgung mit Vitamin B12 wird vermehrt Methylmalonsäure im Urin ausgeschieden. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA rät generell bei einem Vitamin B12-Mangel zu einer Supplementierung mit 4 µg/Tag oder höher um Serumwerte des Vitamin B12, Homocystein und Methylmalonsäure im Referenzbereich zu erhalten.
Quellenangabe: www.vitaminb12.de
Vegan/vegetarische Ernährung in der Schwangerschaft
Der Kalorienbedarf einer Schwangeren ist bis zum zweiten Trimester mit dem der nicht schwangeren Frau vergleichbar. Im zweiten Trimester steigt er um durchschnittlich 340 kcal/Tag, im dritten Trimester um bis zu 500 kcal/Tag28. Nahrungsergänzungen mit Eisen, Folsäure und Vitamin D sind empfehlenswert. Für stillende Vegetarierinnen und vegane Frauen ist eine Supplementierung mit Vitamin B12 dringend angeraten, um die Versorgung der Säuglinge mit Vitamin B12 über die Muttermilch sicherzustellen. Augenmerk sollte auf die Kalzium- und Cholinspiegel gelegt werden29. Ernährungsempfehlungen für vegetarisch und vegan lebende Frauen sollten die Unterschiede in der Nährstoffzufuhr mit berücksichtigen (siehe auch Tabelle 1).
Da eine gut geplante vegane oder vegetarische Ernährung nur gesund und ernährungsphysiologisch sinnvoll ist, wenn sie sorgfältig geplant und kontrolliert ist, kann es zu Mangelernährungsfolgen kommen. Die DGE rät daher zu einer regelmäßigen Laborkontrolle essenzieller Stoffwechselparameter. Profile: Optimierung Ernährung, Aminosäuren und Fettsäuren.
Tabelle 1: Ernährungsbeispiel für Vegetarierinnen während der Schwangerschaft30
Fachartikel als PDF (0,4 MB) anzeigen bzw. ausdrucken
Literatur:
20 Kahleova H, Levin S, Barnard N. Cardio-Metabolic Benefits of Plant-Based Diets. Nutrients. 2017; 9(8).
21 Satija A, Hu FB. Plant-based diets and cardiovascular health. Trends Cardiovasc Med. 2018; 28(7): 437–41.
22 Wang F, Zheng J, Yang B, Jiang J, Fu Y, Li D. Effects of Vegetarian Diets on Blood Lipids: A Systematic Review and Meta-Analysis of Randomized Controlled Trials. J Am Heart Assoc. 2015; 4(10): e002408.
23 Rosell M, Appleby P, Spencer E, Key T. Weight gain over 5 years in 21,966 meat-eating, fish-eating, vegetarian, and vegan men and women in EPIC-Oxford. Int J Obes (Lond). 2006; 30(9): 1389–96.
24 Ströhle A, Löser C, Behrendt I, Leitzmann C, Hahn A. Alternative Ernährungsformen: Allgemeine Aspekte und vegetarische Kostformen. Rehabilitation (Stuttg). 2018; 57(01): 55–70.
25 Richter M, Boeing H, Grünewald-Funk D, Heseker H, Kroke A, Leschik-Bonnet E, et al. Vegane Ernährung. Position der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE). Ernährungs Umschau. 2016; 63(04): 92–102.
26 Venti CA, Johnston CS. Modified Food Guide Pyramid for Lactovegetarians and Vegans. The Journal of Nutrition. 2002; 132(5): 1050–4.
27 Smedts HP, Rakhshandehroo M, Verkleij-Hagoort AC, de Vries JH, Ottenkamp J, Steegers EA, et al. Maternal intake of fat, riboflavin and nicotinamide and the risk of having offspring with congenital heart defects. Eur J Nutr. 2008; 47(7): 357–65.
28 European Food Safety A. Dietary Reference Values for nutrients Summary report. EFSA Supporting Publications. 2017; 14(12): e15121E.
29 Hanson MA, Bardsley A, De-Regil LM, Moore SE, Oken E, Poston L, et al. The International Federation of Gynecology and Obstetrics (FIGO) recommendations on adolescent, preconception, and maternal nutrition: „Think Nutrition First“. Int J Gynaecol Obstet. 2015; 131 Suppl 4: S213–53.
30 Baroni L, Goggi S, Battaglino R, Berveglieri M, Fasan I, Filippin D, et al. Vegan Nutrition for Mothers and Children: Practical Tools for Healthcare Providers. Nutrients. 2019; 11(1).
Foto: ©monticellllo, stock.adobe.com